Ist bei einem zwölfjährigen Insolvenzverfahren über einen Restschuldbefreiungsantrag zu entscheiden, wenn das Verfahren noch andauert?
Grundsätzlich ist über eine Restschuldbefreiung zu entscheiden, wenn das Insolvenzverfahren vor dem 1.12.2001 eröffnet worden ist und zwölf Jahre seitdem vergangen sind.
Im vorliegenden Fall wurde seitens des Insolvenzschuldners am 18.2.1999 beantragt, über sein Vermögen das Insolvenzverfahren zu eröffnen. Ferner wurde Restschuldbefreiung beantragt. Das Insolvenzverfahren wurde am 4.03.1999 eröffnet und ein Verwalter wurde bestellt. Im Oktober des Jahres 2010 beantragte der Insolvenzschuldner eine vorzeitige Restschuldbefreiung zu gewähren. Das Verfahren dauerte zu diesem Zeitpunkt noch an.
Das Insolvenzgericht lehnte den Antrag ab. Hiergegen richtete sich der Insolvenzschuldner mit seiner Beschwerde, die erfolgreich war.
Für Insolvenzverfahren, die vor dem 1.12.2001 eröffnet wurden, findet gemäß der Übergangsregelung des Art. 103a EGInsO der § 287 Abs. II InsO Anwendung. Hiernach hat ein Schuldner seine Bezüge, die pfändbar sind und aus einem Dienstverhältnis stammen, für die Dauer von sieben Jahren nach Verfahrensaufhebung an einen vom Gericht bestimmten Treuhänder abzutreten. Bei Verfahren, die vor dem Stichtag des 1.12.2001 eröffnet wurden, findet der § 287 Abs. II InsO in der Fassung vom 26.10.2001 keine Anwendung. Hiernach erfolgt die Abtretung innerhalb von sechs Jahren nach Eröffnung.
Der Gesetzgeber wollte mit dieser Änderung der bestehenden Regelung eine Verkürzung der Verfahrensdauer beabsichtigen. Diese Regelungsänderung sollte sich jedoch nicht auf sogenannte Altfälle erstrecken, d.h. bei diesen keine Anwendung finden.
In seinem Urteil geht der Bundesgerichtshof grundsätzlich von der Anwendbarkeit von Art. 103a EGInsO aus. Er berücksichtigt bei der Urteilsfindung jedoch, dass die Regelung verfassungskonform ausgelegt werden soll, so wie dies einige Juristen fordern. So soll auch in entsprechenden Altverfahren gemäß § 300 InsO eine vorzeitige Restschuldbefreiung erteilt werden. Dies wird damit begründet, dass eine Verfahrensdauer von mehr als zehn Jahren außerhalb des Erwartungshorizontes des Gesetzgebers gelegen habe. Dadurch sei es momentan zu einer sachlich nicht mehr zu rechtfertigenden Ungleichbehandlung von Neu- und Altschuldnern gekommen.
Entsprechend geht der BGH davon aus, dass Schuldner, über deren Vermögen vor dem 1.12.2001 das Insolvenzverfahren eröffnet wurde, nach nunmehr zwölf Jahren seit Änderung des Insolvenzrechtsänderungsgesetzes – unabhängig vom derzeitigen Verfahrensstand – in den Genuss einer Restschuldbefreiung gelangen.
Im Lichte einer verfassungskonformen Auslegung mit Blick auf Art. 3 Abs. I Grundgesetz ist Art. 103a EGInsO dahingehend auszulegen, dass bei einer Verfahrenseröffnung vor zwölf Jahren die Restschuldbefreiung (gemäß § 300 InsO) zu erteilen ist. Dies soll unabhängig davon sein, ob das entsprechende Verfahren noch andauert, oder ob der Insolvenzschuldner momentan in der Wohlverhaltensperiode ist.
Bei einer derartigen Anwendung und Auslegung ist die entsprechende Regelung verfassungskonform und verstößt somit nicht gegen das Grundgesetz.
Für den Gesetzgeber war es nicht vorstellbar, oder ersichtlich, dass ein Insolvenzverfahren wie hier, im vorliegenden Falle über 14 Jahre dauert. Durch die Änderung der Regelung sollte es eigentlich zu einer Verkürzung der Wohlverhaltensperiode kommen. Nach dem Willen des Gesetzgebers sollte ein Schuldner spätestens nach neun Jahren eine Restschuldbefreiung erreichen können.
Das dem Urteil zu Grunde liegende Verfahren dauert bereits über 13 Jahre an. Hierin liegt eine willkürliche Ungleichbehandlung von Schuldnern in Altverfahren. Dadurch bedarf es einer einschränkenden, verfassungskonformen Auslegung der Regelung.
Altschuldnern ist nunmehr nach 12 Jahren seit Insolvenzeröffnung gemäß § 300 InsO die beantragte Restschuldbefreiung zu erteilen.
Bei Neuverfahren ist bereits nach sechs Jahren nach Verfahrenseröffnung über einen Antrag auf Restschuldbefreiung zu entscheiden. Dies ist auch dann der Fall, wenn das Insolvenzverfahren noch nicht abschlussreif ist (vgl. NJW 2010, Seite 2283).
(BGH, Beschl. v. 18.07.2013 – IX ZB 11/13)